Veranstaltung zu Ehren der Grande Dame der deutschen Islamwissenschaft und Orientalistik Annemarie Schimmel in Berlin

– Annemarie Schimmel und die islamische Mystik –

Am 27. Oktober veranstaltete das Hafis-Institut zu Ehren der bekannten Islamwissenschaftlerin und Orientalistin Annemarie Schimmel im Kulturhaus »Schwartzsche Villa« in Berlin-Steglitz ein Abendprogramm, an dem viele interessierte Menschen teilnahmen.

Als Redner des Abends sprachen der Iranist und Islamwissenschaftler Dr. Thomas Ogger und danach der renommierte Orientalist Prof. Dr. Udo Steinbach über Persönlichkeit und Werk dieser leidenschaftlichen Orientalistin, die ihr gesamtes Leben dem kulturellen Brückenschlag zwischen Orient und Okzident gewidmet hatte und neben etlichen europäischen Sprachen vor allem Arabisch, Persisch, Türkisch und Urdu vollständig beherrschte

Herr Ogger rezitierte zunächst einige Rumi-Übersetzungen bzw. -Nachdichtungen Friedrich Rückerts (1788–1866), der als einer der ersten bedeutenden Orientalisten im deutschsprachigen Raum gilt und zu den großen Vorbildern Annemarie Schimmels zählte. Damit leitete Herr Ogger zum Lebenswerk Annemarie Schimmels über und erinnerte an die große Anzahl ihrer Veröffentlichungen. Dabei sprach er auch über eine persönliche Begegnung mit ihr anlässlich einer an ihn gerichteten Einladung des Kalligrafen Dr. Shams Anwari zur Eröffnung von dessen Ausstellung persisch-arabischer Kalligrafie im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum im Jahr 1989. Herr Anwari hatte über Jahrzehnte mit Frau Schimmel zusammengearbeitet und Teile ihrer Veröffentlichungen kalligrafisch ausgestaltet. Frau Schimmel hielt auf ihre unnachahmliche Art und Weise mit geschlossenen Augen die Eröffnungsrede der Ausstellung und sprach über die Dimensionen von Welt und Universum, die symbolisch in der Eins und in der Null zum Ausdruck kommen und auf die Philosophie Rumis hindeuten. Dabei bezog sie sich auf ihre kurz zuvor erschienene Übersetzung dessen Prosawerks »Fīhi mā fīhi« unter dem Titel »Von Allem und vom Einen«.

Über dieses persönliche Erlebnis kam Herr Ogger dann auf ihre jahrzehntelange Forschungstätigkeit im Hinblick auf Philosophie und Dichtkunst Maulana Dschalal ad-Din-i Rumis zu sprechen, deren Ergebnis sich in mehreren Büchern über ihn niederschlug.

Anschließend rezitierte er einige ihrer Übersetzungen und Nachdichtungen aus Rumis »Mas̱nawī«, aber auch Übersetzungen und Nachdichtungen anderer Mystikerdichter der islamischen Geschichte aus ihrem Buch »Gärten der Erkenntnis« (1982), allen voran von al-Hallâdsch (hingerichtet 922), der ebenfalls ihr besonderes Interesse angezogen hatte.

Zwischendurch, aber auch über den Abend verteilt, spielte Herr Ogger einige klassische persische Musikstücke auf Santur im Modus Afschârî.

Der renommierte Orientalist Prof. Dr. Udo Steinbach sprach in seinem nachfolgenden Vortrag unter anderem darüber, dass es keinen Zweifel gebe, dass das Leben dieser großen Gelehrten der Orientalistik zwischen den beiden Welten des Orients und des Okzidents viele Früchte getragen habe.

Annemarie Schimmel, die ab 1980 Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Religionsgeschichte war, erhielt 1995 wegen ihrer Leistungen, ihres Wissens und Verständnisses dem Islam gegenüber sowie ihrem Eintreten für den kulturellen Austausch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Doch hatte dieses Ereignis wegen ihrer Äußerungen bezüglich des Buches »Die Satanischen Verse« von Salman Rushdie in den verschiedenen deutschen Medien heftige Debatten zur Folge.

In dieser Hinsicht verwies Prof. Steinbach auf die Laudatio des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog bei der Verleihung des Friedenspreises und sagte: Es gibt Indizien, die zeigen, dass der „Kampf der Kulturen“ in Wirklichkeit ein „Kampf der politischen Fundamentalismen“ ist, der die Mehrheit der gemäßigten Menschen überhaupt nicht interessiert. Die Frage ist nun, ob in dieser Zeit eine Zusammenarbeit zwischen einer auf Aufklärung beruhenden Kultur zwischen denjenigen, welche die Zivilisationen versöhnen wollen, und denjenigen, die Feindbilder an die Wand malen, als vernünftige Friedensstrategie vorstellbar ist.

In diesem Zusammenhang kritisierte Prof. Dr. Steinbach aber auch Annemarie Schimmels politische Zurückhaltung hinsichtlich mancher neuerer Entwicklungen im islamischen Raum, die auf das weltweite Zusammenleben und auf das Bild des Islams selbst negative Auswirkungen haben.

Wenn wir nicht miteinander sprechen und miteinander verhandeln, werden wir nichts voneinander erfahren und auf die Dauer nicht miteinander leben können. In Bezug zum Islam hat uns Annemarie Schimmel den Weg geebnet und in Bezug zu anderen Kulturen hat sie uns gezeigt, wie man solch einen Weg bauen kann.

Vielleicht stelle ich mir eine Perspektive vor, die sich nicht verwirklicht oder mindestens zu unseren Lebzeiten nicht verwirklicht wird. Aber sie würde den Schrecken vor einem Krieg der Zivilisationen nehmen, den wir auf keinen Fall anstreben sollten.

Bei dieser Art von notwendigen Gesprächen und Handlungen gehören wir zu den Menschen, die sich in diesen Kulturen weitestgehend auskennen, so dass wir sachkundig informieren können. So sind wir in der Lage darüber nachzudenken, wie wir ihre fremde Welt verstehen und wie wir das, was wir dabei gelernt haben, umsetzen können, damit über diesen Weg Brücken des Vertrauens geschaffen werden.

Man muss sagen, dass Annemarie Schimmel in ihren letzten Lebensjahren bemüht war zu zeigen, dass der wirkliche Islam ein friedlicher Islam ist und nicht einer, in dem sich muslimische Fundamentalisten und Extremisten austoben.

Vor ihrem Tod hatte sie noch in einem diesbezüglichen Gespräch gesagt: Die islamistischen Extremisten sind in der Welt des Islams eine kleine Gruppe, die zugleich sehr aktiv ist und deren Glaubensinhalte von den politischen Problemen und den sozialen Protesten gespeist werden. Diese Minderheit benutzt die Aussagen des Korans und der Hadithe (Überlieferungen des Propheten) für das Vorantreiben ihrer eigenen politischen Ziele. Unter meinen muslimischen Freunden gibt es niemanden, der deren Parolen gutheißt. Leider sind wir in diesen Jahren Zeuge geworden, wie die Religionen zunehmend politisch instrumentalisiert wurden. Dieses Problem hat sogar auch Religionen wie den Hinduismus und den Buddhismus erfasst. Tatsächlich haben sich religiös-politische Machtansprüche und wirtschaftliche und soziale Motive die Hände gereicht und ein explosives Gemisch hervorgebracht. Was mich schmerzt und mir Sorgen bereitet, ist das Außerachtlassen religiöser und geistlicher Prinzipien und das Schließen der Augen vor der Suche nach der Schönheit und der Spiritualität in der Religion.